Kanada – immer wieder Kanada. Dieser Wunsch keimte schon einige Male bei der Urlaubsplanung auf, doch er wurde nie richtig beachtet. Immer wieder wurden andere Reiseziele vorgeschoben: 2000 wollte ich unbedingt San Francisco kennen lernen, 2001 sollte unbedingt der Grand Canyon auf dem Programm stehen, 2002 verreiste ich mit einem Arbeitskollegen, der noch nie die USA gesehen hat und 2003 gab es überhaupt keinen Urlaub jenseits des großen Teichs.
Doch dieses Jahr soll alles anders werden. Dieses Jahr setzt sich Kanada direkt an die Spitze der Warteschlange. 3 Wochen sollen es werden. Zuerst die Städte Calgary und Vancouver, verbunden durch den Rocky Mountaineer, einem außergewöhnlichen Zug, danach über Vancouver Island, Whistler, Barkerville, Wells Gray PP, Jasper, Icefields Parkway und Banff zurück nach Calgary per Mietwagen.
Die Tickets wurden gebucht, die Unterkünfte vorbestellt, die kleine Abschlussprüfung der Ausbildung hinter mich gebracht und schon steht der Reise nichts mehr im Wege.
Frankfurt Flughafen
Aufgenommen am: 16.05.2004
Am Morgen des 16. Mai werde ich also zum Bahnhof gebracht und befinde mich kurze Zeit später in einem fast leeren Großraumwagen. Moment mal – Bahnhof? Ich versteh nur Bahnhof? Ist es mit dem Zug nicht ein wenig weit bis Kanada? Richtig gedacht, Watson, aber falsch kombiniert. Flüge können ausgebucht sein, so wie mein Anschlussflug von Düsseldorf nach Frankfurt. Die einzige Alternative wäre die erste Maschine um 6 Uhr gewesen. Dann wäre ich um 7 in Frankfurt gewesen und hätte 7 Stunden meines Lebens auf den Anschlussflieger warten dürfen. Oh nein, nicht mit mir. Da fahre ich lieber mit der Bahn, stehe etwas später auf, genieße eine Fahrt durchs schöne Rheintal und brauche weniger Zeit in Frankfurt totzuschlagen.
Wie ich also eben schon sagte: ich befinde mich im Zug auf den Weg nach Mainz genauer gesagt, wo ich einmal umsteigen muss, und höre während des zweiten Frühstücks, wie sich unser neues Zugteam bei uns vorstellt, als wir gerade Köln verlassen. Nächster Halt: Mannheim. „Gute Frau“, denke ich nur bei mir, „da bist du aber deiner Zeit weit voraus. Lass mich wenigstens vorher in Mainz raus“.
Auf den Sitzen liegen doch immer diese Reisepläne, in denen man die Ankunftszeiten und Unterwegshalte nachschlagen kann. Genau – diese Papiere, die jeder sofort wegwirft und später dann wieder panisch sucht, genau die meine ich. Es scheint da wohl erhebliche Abweichungen von Plan zu Plan zu geben. Anders kann ich es mir nicht erklären, warum der Herr ein paar Sitze vor mir ca. 8 dieser Blätter einsammelt, genau studiert und dann eines davon behält und die anderen wieder auf die Sitze verteilt. Oder er wollte sicher gehen, dass der nächste Bahnhof wirklich nicht Mannheim ist.
Flug über Grönland
Aufgenommen am: 16.05.2004
Im Flieger begehe ich mal wieder den typischen deutschen Urlaubsfehler: Nur weil die Maschine der Air Canada zufällig durch die Star Alliance bedingt auch eine Lufthansa Flugnummer trägt, braucht noch lange nicht jeder in dieser Maschine Deutsch sprechen zu müssen. So wie mein Sitznachbar. Zuerst glaube ich an Unhöflichkeit, bis ich endlich merke: Der Mann versteht mich nicht!
Schweißperlen auf der Stirn. Tief im Gedächtnis gegraben, da war doch noch etwas. Richtig! Habe doch mal so etwas wie Englisch gelernt. Jetzt nur keine Panik. Wie ging das denn noch? Langsam Wort für Wort aneinander setzen, nein, die haben eine andere Satzstellung als wir. Also noch mal von vorne. Wort für Wort aneinander setzen, gleich ist die Frage fertig. Das wird eine Unterhaltung! Tja, und dann passiert das Unerwartete: Er stellt zuerst eine Frage! Mist, umdenken, neuen Satz bauen, das kriegen wir schon hin! Oh mein Gott, warum bin ich nicht in den Schwarzwald gefahren.
Egal. Es gibt jetzt etwas zu essen. Briketts! Also ehrlich, das mag mal Chicken gewesen sein, aber wirklich nur bevor sie zu Briketts verarbeitet wurden. Und auch die Cookies haben mehr Ähnlichkeit mit einem Holzbrett als mit Gebäck.
Landeanflug auf Calgary
Aufgenommen am: 16.05.2004
Da gefällt mir doch schon eher, was mir draußen vor dem Fenster geboten wird: wir haben schönstes Wetter – nein, nicht nur weil wir über den Wolken schweben – nein, es sind überhaupt keine Wolken da! Man kann das Meer sehen und wie sich die Sonne im Wasser spiegelt. Oder das schottische Hochland mit seinen Sümpfen und Seen. Oder der ewige Schnee im Polargebiet, in dem man sogar Spuren zu erkennen glaubt. Als die Landschaft wieder etwas farbenfroher wird, befinden wir uns im Landeanflug auf Calgary. Alberta sieht von oben Deutschland schon etwas ähnlich – was die Farben angeht. Aber in punkto Symmetrie ist Alberta eindeutig im Vorteil. Wie mit dem Lineal gezogen verlaufen die Grenzen der quadratischen Kornfelder. Einzelne Bachläufe oder Seen zerstören zwar die ungemeine Ordnung im
Bild, jedoch wurden ihretwillen keine Ausnahmen in den Abmessungen gemacht.
„Verehrte Fluggäste. Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe verlassen und beginnen nun mit dem Landeanflug auf Calgary. Das Wetter ist warm und sonnig und im Eishockeyspiel Calgary Flames gegen die Sharks steht es noch 0:0.“ Noch ahne ich nicht, was für euphorische Eishockeyfans mich erwarten werden und wie weit die Flames dieses Jahr bereits gekommen sind. Noch ahne ich es nicht, aber bald werde ich es spüren – ob ich will oder nicht. Da kommt in diesen Tagen keiner in Calgary dran vorbei.
Der Abend ist noch jung und zur Überwindung des Jetlags muss ich einfach noch ein wenig raus. Ich mache mich also von meinem Motel am Banff Trail auf zur nahegelegenen Straßenbahnhaltestelle. Auf dem Bahnsteig stehen eine Reihe Automaten, doch alle akzeptieren nur Kleingeld. Münzen. Nicht mal eine Kreditkarte. Ich finde das höchst ungewöhnlich, wo doch sonst hier alles mit der Plastikkarte möglich ist. Also erst einmal ins nächste Schnellrestaurant und einen Schein klein machen lassen.
In der Innenstadt gleich die nächste Überraschung: die City ist so gut wie tot. Ausgestorben, nichts los hier. Alle Geschäfte haben zu. Heute ist Sonntag, was mir sonst in Nordamerika nie so direkt gezeigt wird. Selbst die meisten der Skywalks sind geschlossen.
alte & neue Stadthalle in Calgary
Direkt hinter dem Olympic Plaza, wo 1988 die Medaillen verliehen wurden, stehen sich alte und neue Stadthalle gegenüber.
Aufgenommen am: 16.05.2004
Was aber immerhin geöffnet ist, ist der Olympic Plaza und die Aussicht auf die beiden Stadthallen. Apropos Aussicht: vielleicht hat ja auch der Calgary Tower geöffnet.
Nicht nur vielleicht, er hat geöffnet. Ziemlich allein, was man meistens ist, wenn keiner sonst da ist, fahre ich hinauf zur Aussichtsplattform, wo sich einige wenige die Nasen an den Scheiben platt drücken. Im Westen steht die Sonne schon sehr tief, als ich von hier oben in Deutschland anrufe und einen schönen Gruß bestelle, dass ich gut angekommen bin.
Nachdem die Sonne untergegangen ist, fahre ich zuerst mit dem Lift wieder runter und anschließend mit der Straßenbahn zurück zum Banff Trail. Irgendwie kommt mir die Geräuschkulisse bekannt vor. Auch die Art, wie sich die Türen zum Öffnen falten. Fast wie zu Hause. Als beim Aussteigen mal mein Blick auf das Firmenschild fällt, trifft mich fast der Schlag: hergestellt von DüWag Düsseldorf. Willkommen zu Hause.