Nur noch 14 Tage. Nein, es sind nicht noch vierzehn Tage bis zum Urlaub, der beginnt schon heute, nein in 14 Tagen ist die erste Abiturprüfung. Man sollte ja annehmen, jeder Schüler der 13. Klasse würde sich in den Osterferien jetzt an den Schreibtisch setzen und lernen lernen lernen. Ehrlich gesagt: Ich habe in den letzte vier Monaten nichts anderes gemacht. Mir reicht’s. Ich bin fertig mit den Nerven. Ich muss hier einfach raus. Wenn ich noch länger hier bliebe, würden mich sicher meine Klassenkammeraden Löcher in den Bauch fragen mit Dingen, die sowieso nicht in der Prüfung vorkommen, mich aber im Vorfeld verunsichern. Nein, da mache ich nicht mit. Ich will hier weg.
Die erste Prüfung wird sowieso nur Mathe sein, dass kann man ja im Schlaf. Und außerdem habe ich in den letzten vier Monaten so viele Nachhilfestunden gegeben, dass ich mich nicht nur in das Unterrichtsmaterial der jeweiligen Klassen eingearbeitet habe, nein, ich habe sogar so viel Geld verdient, dass ich die Hälfte für meinen ersten eigenen Urlaub zusteuern kann. Der Rest kommt von meinen Eltern, die mir vor einigen Jahren verhängnisvollerweise versprochen haben, ich bekomme eine Reise geschenkt, wenn ich das Abitur bestanden habe. Und da ich nach dem Abi sofort mit dem Zivildienst anfange, bleibt mir halt nichts anderes übrig, als vorher zu verreisen.
schlechtes Wetter beim Abflug in Paris
Aufgenommen am: 19.04.2000
Dies ist mein erster eigener Urlaub. Das erste Mal, dass ich allein das Reiseziel bestimme, das erste Mal, dass ich ganz allein so weit verreisen werde und erst am Zielort auf die Mitfahrer der meiner Busrundreise treffe.
Am Flughafen lasse ich mir noch nichts anmerken, aber innerlich bin ich doch schon ganz schön nervös. Bei meinem ersten und bisher einzigen Flug bin ich einfach nur den anderen hinterhergetrottet, diesmal muss ich für mich selber sorgen. Es geht schon in der Abflughalle los, das werde ich wohl nie vergessen. Ich muss zum Ausgang C40 und laufe auf ein Schild am Ende des Ganges zu, das nach links zu den Ausgängen 31-39 zeigt und rechts sind die Ausgänge 41-49 zu finden. Aber wo ist 40 geblieben? – In meinem Eifer bin ich doch schon glatt daran vorbeigelaufen. Es handelt sich um eine recht unscheinbare Tür am Anfang des Ganges.
Flug über den Wolken
Aufgenommen am: 19.04.2000
Die erste Etappe führt mich mit der Air France nach Paris. Kaum sind wir gestartet und jeder hat ein Getränk und ein Mini-Croissant erhalten, landen wir auch schon wieder. Paris ist ja gar nicht so weit entfernt wie ich immer dachte. Ich muss wirklich damit anfangen, in Luftwegen zu denken. Ich darf nicht immer nur die Entfernung mit dem Zug oder dem Auto vor Augen haben.
Auf dem Weiterflug sitze ich wieder neben Andrea, die ich eben im Flieger kennen gelernt habe und die auch alleine unterwegs ist. Da die Maschine nicht ausgebucht ist, kann ich mich einfach neben sie setzen. Wir unterhalten uns über dies und jenes, dann vergeht die scheinbar unendlich lange Flugzeit ein wenig schneller.
Bevor ich die Reise gebucht habe, stand ich vor der Auswahl, wohin soll es eigentlich gehen? Ich bin dann sehr schnell auf Kalifornien gekommen - wegen San Francisco. Ich habe schon so viel davon gehört und trage schon seit Jahren den Wunsch in mir, einmal diese Stadt zu sehen. Einmal mit der Cable-Car zu fahren. Einmal über die Golden Gate Bridge zu laufen. Ich hoffe, diese Träume werden in Erfüllung gehen.
Im Flieger durchstöbere ich ein paar Reiseführer und stelle mir ein allzu optimistisches Nachmittagprogramm zusammen, ohne die Ausmaße von Los Angeles auch nur zu erahnen.
Landeanflug auf Los Angeles
Aufgenommen am: 19.04.2000
Als wir zum Landeanflug auf Los Angeles ansetzen, kommt wieder eine leichte Form von Panik in mir hoch. Gleich wird Andrea von ihrer Freundin vom Flughafen abgeholt und ich stehe mutterseelenallein in einer riesigen Stadt. Die Häuser sind immer deutlicher zu erkennen, dann auch die Autos und Menschen. Alles kommt immer näher und wird zum Greifen nahe. Wir gehen immer tiefer und tiefer und setzen schließlich auf.
In der Halle, wo die Pässe kontrolliert werden, stehen die Leute in kilometerlangen Schlangen vor den Schaltern. Es dauert eine Ewigkeit, bis wir endlich passieren können. Das Kofferband unserer Maschine wurde schon angehalten und die nicht abgeholten Gepäckstücke zur Seite geräumt. Einsam und verlassen warten noch genau zwei Koffer auf ihre Besitzer. Was für ein Zufall, es sind genau unsere!
Die Zollkontrolle ist auch bald hinter uns und wir treten hinaus ins Freie an die warme kalifornische Luft. Ich bemerke sofort, hier riecht es anders als zu Hause. Selbst wenn man die Augen schließt, man fühlt, man ist ganz woanders. Phantasiere ich schon?
Wie geht’s jetzt aber weiter? Laut dem Schreiben des Reisebüros brauche ich nun nichts weiter zu tun, als vor dem Flughafen auf den Shuttle-Bus zum Hotel zu warten. Langsam begreife ich das System: Es gibt Busse, da steht eine Mietwagengesellschaft auf der Seite angeschlagen und es gibt welche, da stehen Hotelnamen dran. Gut kombiniert Watson, da kommt sicher auch bald der passende für mich.
Westin Los Angeles Airport Hotel
Aufgenommen am: 19.04.2000
Die Hotellobby des Westin Los Angeles Airport ist sehr hoch und reich geschmückt. Ich denke schon fast, ich wäre hier falsch. Ich gehöre irgendwie nicht hierher und doch bekomme ich mit meinem Voucher ein Zimmer. In so einem luxuriösen Hotel bin ich noch nie gewesen. Bisher kenne ich nur in Jugendherbergen oder einfache Pensionen von innen.
Ich fahre hoch auf mein Zimmer mit der Nummer 573. Immer wenn etwas neu ist, befasst man sich doch sehr intensiv damit. Daher werde ich wohl auch die Zimmernummer nie vergessen, Nr. 573. Im Schrank gleich neben dem Fernseher finde ich eine kleine Minibar, aus der ich erst einmal kühle Getränke nehme. Die Hitze vor der Tür hat durstig gemacht. Außerdem kann ich ein paar Knabbersachen gut gebrauchen.
Ab vier Uhr erwartet uns unser Reiseführer in der Lobby. Damit ich danach noch etwas unternehmen kann, bin ich schon etwas vor 4 in der Halle und frage wirklich jeden, der scheinbar auf jemanden wartet, ob er meine Zielperson ist. So trainiere ich wenigstens mein Englisch. Nachdem ich von Pontius zu Pilatus geschickt wurde, treffe ich dann Ed, der mir kurze Instruktionen gibt, wann wir morgen wegfahren, wie das mit dem Koffer funktioniert usw.
Danach geht es auf die Straßen von Los Angeles. Ich habe mir vorgenommen, die paar Meter bis zur Metro-Station zu laufen und dann in die Stadt zu fahren. Ich bin recht ausdauernd im Laufen, doch selbst nach einer Stunde habe ich die Haltestelle noch nicht erreicht. Langsam begreife ich, wie groß diese Stadt ist und was auf dem Stadtplan wie ein Katzensprung aussieht, ist in Wahrheit eine Tageswanderung. Ich kehre resigniert wieder um. Zufällig komme ich dabei an der Alamo-Mietwagenstation vorbei. Das wird in zwei Jahren eine äußerst nützliche Information sein. Dann weiß ich wenigstens, wo sie sich befindet.
Was den Nachmittag angeht, so habe ich mir alles etwas anders vorgestellt. Ich schaffe nicht einen Punkt meines ausführlichen Tagesplans, was eigentlich zu erwarten war. Erschöpft falle ich gegen 6 Uhr abends ins Bett.