Ich muss heute früh aufstehen. Der Zug wird Los Angeles pünktlich um 10 Uhr verlassen und bis dahin muss ich es noch irgendwie schaffen, vom Flughafen nach Downtown zur Union Station zu kommen. Ich durchdenke meine Möglichkeiten. Bus? Keine Ahnung, ob es überhaupt eine durchgehende Linie gibt und wie lange das dauert. Taxi? Zu teuer, letztes Jahr wurde mir für die Fahrt 40$ berechnet. Shuttlebus? Die fahren doch vom Flughafen ab.
Also lasse ich mich vom hoteleigenen Shuttlebus gratis zum Flughafen bringen. So früh ist fast noch nichts los hier. Auf der Ankunftsebene, wo normalerweise Scharen von Menschen auf ein Transportmittel warten, ist niemand zu sehen. Habe ich mich selbst ins Abseits manövriert?
Nach einer endlosen Viertelstunde kommen doch ein paar Wagen der verschiedensten Shuttlebusunternehmen vorbei, nur leider mit dem falschen Ziel. Trotzdem lässt das hoffen. Und tatsächlich – endlich biegt ein Wagen mit einem Schild „Downtown“ hinter der Windschutzscheibe um die Ecke. Ich gebe ein Zeichen zum Anhalten.
Rathaus von Los Angeles
Aufgenommen am: 13.06.2001
Wir sitzen zu dritt im Wagen. Zuerst fahren wir zum Greyhound-Bus-Terminal, wo wir den ersten Fahrgast absetzen, danach geht es schnurstracks durch Hinterstraßen zur Union Station. Ich habe eigentlich einen guten Orientierungssinn, doch als wir den Bahnhof von hinten her anfahren und urplötzlich auf einem Parkplatz halten, denke ich nur, wo hat der mich denn jetzt hingebracht. Doch dann sehe ich wieder das Rathaus und erinnere mich an den ersten Tag in LA, hier sind wir definitiv richtig. Und ich zahle nur 13$ plus Trinkgeld für die Fahrt.
Leider bemerke ich erst jetzt, dass ich im Eifer des Gefechts irgendwo meine Gallone Apfelsaft hab stehen lassen, die ich mir letztens im Supermarkt gekauft habe. Ich will mich nicht auf den Speisewagen allein verlassen, sondern habe immer gerne selbst ein wenig Proviant dabei, so beschließe ich, den Koffer aufzugeben und noch einmal in die Stadt zum Pershing Square zum Supermarkt zu fahren, um etwas zu trinken zu kaufen. Bei der Gelegenheit kann ich mich auch gleich vom Herzen von Los Angeles verabschieden. Irgendwie bin ich doch froh, wenn ich aus dieser riesigen Stadt endlich raus bin.
Wie schon erwartet, verlassen wir pünktlich um 10 Uhr den Bahnhof von Los Angeles. Der Coast Starlight wird nun auf eine zwei tägige Tour über Santa Barbara – San Luis Obispo – San Jose – San Francisco – Portland nach Seattle gehen. Bis Oakland - direkt gegenüber von San Francisco - werde ich ihn dabei begleiten. Wenn alles gut läuft, werde ich mein Ziel um 21:22 Uhr erreicht haben.
Ich lehne mich in meinem Sessel zurück als die Ausläufer der Stadt am Fenster vorbeiziehen. Glendale, Simi Valley und Oxnard sind die nächsten Halte, dann sehen wir den endlosen Ozean links neben uns. Die Wellen schlagen gegen die Felsen, so dass Wasser empor spritzt. Immer seltener ziehen Parkplätze an uns vorbei, wo begeisterte Sportler ihre Surfbretter zu Wasser lassen.
Coast Starlight am Bahnhof Santa Barbara
Aufgenommen am: 13.06.2001
„Nächster Halt ist Santa Barbara“ werde ich aus meinen Träumen geweckt. „Hier haben wir ein paar Minuten Aufenthalt. Aber laufen sie nicht zu weit vom Zug weg, ein Taxi nach San Luis Obispo kostet mehrere hundert Dollar“.
Obwohl die Wagen äußerst großzügig bemessen sind und selbst für so lang geratene wie mich genug Beinfreiheit bieten, sind Pausen dieser Art immer willkommen.
Wir setzen unseren Weg an der Küste entlang fort. Wir sind nicht schnell unterwegs. Wer mit dem Zug fährt, der sollte Zeit mitbringen. Überhaupt ist die Atmosphäre hier im Zug eine ganz andere als vielleicht im Flugzeug. Es ist irgendwie ein wenig familiärer. Als es auf Mittag zugeht, und der Speisewagen der Überfüllung nahe ist, kommt der Chef des Wagens persönlich durch den Zug, um eine Namensliste zu erstellen, so dass die Fahrgäste am Platz warten können, bis ein Tisch frei wird.
In San Luis Obispo halten wir wieder für ein paar Minuten. Laut Fahrplan müssten wir hier eigentlich unseren Gegenzug passieren lassen, doch der hat wahrscheinlich wieder Verspätung. Ohne die Chance auf ein Foto des Gegenzuges fahren wir weiter.
Die Strecke verläuft ab hier im Landesinneren und gibt die Küste für den Highway #1 frei. Wir passieren Obstplantagen, Farmen, Weiden, Laubwälder und unseren Gegenzug, der bei Paso Robles auf uns wartet. Inzwischen haben auch wir eine Verspätung von etwa 30 Minuten, doch auch dieser Umstand scheint niemand im geringsten zu beeindrucken. Das gehört einfach zum Bahnfahren dazu.
Blick ins Innere der Superliner
Wir befinden uns im Coast Starlight, der mich von Los Angeles nach San Francisco bringen wird. Dies ist einer der modernen doppelstöckigen Superliner.
Aufgenommen am: 27.04.2000
Hinter Salinas wird es langsam dunkel. Der Zug fährt in die Nacht hinein. Im Speisewagen wird das Abendessen serviert als wir über eine große Seenplatte fahren. Wo man auch hinsieht, nur Wasser zur rechten und linken Seite des Zuges, ab und an unterbrochen durch eine grüne Insel.
In San Jose steigt eine nette ältere Dame zu und setzt sich neben mich. Sie wird bis Seattle durchfahren. Ich biete ihr an, sich schon einmal für die Nacht bequem zu machen. Die Lehnen der Sitze kann man weit nach hinten klappen, ohne den Hintermann auch nur im geringsten zu beeinträchtigen. Außerdem kann man eine kleine Fußbank nach oben klappen, um den Sitz fast in eine Liege zu verwandeln. Der Schaffner teilt Kissen und Decken aus und ich wünsche ihr eine gute Nacht.
In Oakland wartet bereits der Shuttlebus, um uns über die Oakland Bay Bridge nach San Francisco zu bringen. Wir haben einen gut gelaunten hilfsbereiten Fahrer erwischt. Er fährt gar nicht erst die regulären Haltestellen an, sondern bringt die Leute direkt zu ihren Hotels. Ich werde im Hotel Bijou am Fuße der Mason Street wohnen, bin also einer der letzten, die abgesetzt werden. Als wir auf der Mason Street anhalten und ich aussteigen möchte, schickt mich der Fahrer sofort wieder zurück in den Bus. „Ich bringe dich bis zur Tür“. Netter Service, der mit einem ordentlichen Trinkgeld belohnt wird.